Das abgehängte Landei

Konfliktpotentiale gibt es ja überall, und man muss manchmal gar nicht so genau hinschauen, um zumindest die grösseren zu finden.

Nur befasst sich der Journalist halt mit Dingen, die bequem erreichbar sind, also in der Regel in seinem bürgerlichen Urbanuniversum.
Schlimm wird das dadurch, dass Meinungsgestalter durch die Fokussierung auf ihr eigenes Universum Politik machen.
Denn Politiker hören auf die grossen Medien, da sie vermuten, dass sich dort das widerspiegelt, was das gemeine Volk so bewegt. In Wahrheit berichten die Medien aus ihrer eigenen Wirklichkeit und der ihres Bekanntenkreises. Der Rest der Welt bleibt so lange aussen vor, bis etwas wirklich spektakuläres geschieht.
Dieser Umstand hat den Journalisten den Ruf eingebracht, die Wahrheit zu verschweigen, und das ist auch oft der Fall. Nur handelt es sich da wohl weniger um böse Absicht als um schlichte Nachlässigkeit.
Sieht man sich den Zustand der grossen Medienportale an, wo immer öfter Praktikanten ohne Sprachgefühl die Leerräume zwischen aufdringlichen Werbefilmchen vollblödeln und sich Themenauswahl wie Schlagzeilem immer mehr dem Nullniveau der beliebten Regenbogenorgane annähert, spürt man körperlich den Zwang, unter dem diese armen Leute halt irgendwie die Seiten vollmachen müssen.
Da sind sie dankbar, im Bekanntenkreis das Gejammer über fehlende Kindervollbespassung im Viertel, schlechtes Avocadocarpaccio beim neuen Bolivianer und den Jubel über das tolle Trendfahrrad, das jetzt wirklich jeder haben muss, mitzutippen. Seite voll, Ziel erreicht.

Insofern gar nicht erstaunlich, wieviele Jahre es gedauert hat, bis sich die Medienlandschaft ganz allmählich für das zunehmenden Ungleichgewicht in der Wahrnehmung von Stadt- gegenüber Landbevölkerung interessiert.
Dazu brauchte es erst einmal ganze Landstriche, deren Dörfer mittlerweile so tiefbraun verseucht sind, dass eine Rettung schon fraglich erscheint.

In der Süddeutschen war nun zu lesen, dass im Bundestag Dorfbewohner stark unterrepräsentiert sind („Abgehängt sind viele Dörfer aber nicht nur, weil ihnen Ärzte, Schulen, Läden und Krankenhäuser fehlen. Ihnen fehlt häufig auch die politische Repräsentation“).
Das könnte man zum Anlass nehmen, ein wenig Selbstreflexion zu betreiben. Oder man kann die grandiose Idee des kostenlosen Nahverkehrs feiern, den dann die 19,7% Grosstadtbewohner nutzen können und der dann gerne von den Steuern der 34,9% Landbevölkerung mitfinanziert wird, die ausserhalb der Schulzeiten wahrscheinlich noch nie einen Bus gesehen haben – ob der nun was kosten würde oder nicht.

In der Realität sieht das dann so aus:

In der Süddeutschen beschwert sich am 7.3. ein Ralph Diermann vehement darüber, dass, obwohl doch alle die Energiewende wollen, so viele Menschen gegen Windparks sind.
Natürlich hat das einen einfachen Grund: Die Windräder stehen zu tausenden auf dem platten Land, sie sind hässlich, sie sind lauter als man meinen könnte, und für Vögel sind sie auch nicht eben das beste.
Das alles kratzt Herrn Diermann natürlich nicht, denn er wohnt vermutlich mitten in der Stadt.
Da ist dann auch leicht Flexibilität und Opferbereitschaft fordern, wenn man selbst bei der ganzen Sache nur gewinnt.
Im Grunde läuft es bei dieser Argumentation darauf hinaus, dass das Landvolk gefälligst die Zerstörung seines Lebensraums hinnehmen soll, damit das Stadtvolk guten Gewissens Strom verballern kann.
Wie sagt unser Autor selbst?

Ein gewisses Maß an Härten, auch an Widersprüchen und Rückschlägen lässt sich wohl nicht vermeiden bei einem solch umfassenden Projekt wie dem Wandel von den fossilen hin zu den erneuerbare Energien.

Man spürt förmlich, wie es ihn schmerzt, dass andere so für ihn leiden müssen. Aber da müssen sie halt durch, die Dorftrottel.

Währenddessen fordert die Präsidentin des Umweltbundesamtes unverdrossen eine kilometerabhängige Strassenutzungsgebühr. Das ist toll, denn dann zahlen die 34% Landeier 80% der Gebühr, da sie ja nunmal so grosse Entfernungen zurücklegen müssen.
Gleichzeitig sollen dann Elektroautos gefördert werden – sprich Batteriemobile, die mangels Reichweite auch nur in der Stadt wirklich nutzbar sind.
Nur gut, dass dieser grossartige Plan noch an den mangelnden Erfassungsmöglichkeiten scheitert. Aber das kommt sicher noch.

Aufgrund dieses Tunnelblicks fehlen letztendlich die wirklich grossen Durchbrüche in der fraglos wichtigen Mobilitätsfrage.
Man könnte auch auf dem Land problemlos elektrisch fahren, wenn es denn eine flächendckende Versorgung mit Wasserstofftankstellen gäbe, die eine ordentliche Reichweite ermöglichen.
Aber das ist natürlich zu teuer, bzw. der Leidensdruck, stattdessen mit halbgaren Batteriebüchsen zum Einkaufen zu fahren, ist für den städtischen Entscheider eben nicht gross genug.

Natürlich, das sind nun alles keine wahrhaft grosse Themen, aber insgesamt führen sie dazu, dass Landmenschen zunehmend das Gefühl haben, dass an ihrer Lebenswirklichkeit komplett vorbeidiskutiert und -geplant wird. Das erst schafft dann das Gefühl des Abgehängtseins, das dann dazu führt, dass sich die geistig Labilen zusammenrotten und ihr Grossdeutschland ausrufen, als wenn das irgendetwas ändern würde.
Unterschätzen sollte man diese Gefühlslage nicht: Die meisten der letzten Bürgerkriege kann man auf zu grosse Disparität zwischen Stadt und Land entweder direkt zurückführen, oder sie sind davon zumindest angetrieben worden, und auch wenn das  hierulande hoffentlich erst einmal nicht zu erwarten steht – schon das Erstarken des braunen Mob als zumindest teilweise Folge sollte reichen, um diesem Thema vielleicht doch einmal mehr als ein paar Randnotizen zu widmen.

 

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